
Im letzten Blogbeitrag haben wir das Kapprecht erläutert, das nur ausgeübt werden darf, wenn das Eigentum durch überragende Äste oder Wurzeln geschädigt wird. Wenn die Pflanze des Nachbarn keine Beeinträchtigung darstellt, sie aber trotzdem stört, stellt sich jedoch noch die Frage, ob die Pflanze genügend Abstand zum eigenen Grundstück aufweist. Wie gross der Abstand sein muss, hängt von der Art und Grösse der Pflanze und der kantonalen Regelung ab. Aber Achtung: Nach dreissigjähriger Duldung einer zu nahen Pflanze kann der Unterabstands nicht mehr geltend gemacht werden!
Die Pflanzabstände sind nicht in einem eidgenössischen Gesetz geregelt. Vielmehr ermächtigt Art. 688 des Zivilgesetzbuches (ZGB; SR 210) die Kantone, für Anpflanzungen je nach der Art des Grundstückes und der Pflanzen bestimmte Abstände vom nachbarlichen Grundstück vorzuschreiben oder den Grundeigentümer zu verpflichten, das Übergreifen von Ästen oder Wurzeln fruchttragender Bäume zu gestatten.
Im Kanton Aargau sind die Abstandsregeln im Einführungsgesetz zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch (EG ZGB AG; SAR 210.300) geregelt. Gemäss § 72 f. EG ZGB AG gelten folgende Abstandsregeln:

Die EG ZGB AG-Version, auf die sich die genannten Pflanzenabstände stützt, ist seit dem 1. Januar 2018 in Kraft. Auf Pflanzen die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes gepflanzt wurden und das neue Recht verletzen, kommt gemäss § 106 EG ZGB AG jene gesetzliche Regelung zur Anwendung, die zum Pflanzzeitpunkt in Kraft war. Konkret bedeutet dies, dass wenn eine Pflanze einen zu geringen Abstand aufweist, zunächst abzuklären ist, wann die Pflanze gepflanzt wurde. Danach ist anhand dieses Datums, die gesetzliche Bestimmung zum Pflanzzeitpunkt zu konsultieren.
Pflanzt der Nachbar einen neuen Baum zu nahe an die Grenze, muss dies nicht toleriert werden. Es kann die Entfernung der Pflanze verlangt werden und das auch (im Gegensatz zum Kapprecht) ohne Nachweis einer Beeinträchtigung oder eines Schadens. Stellt der Nachbar die rechtmässige Situation trotz Aufforderung nicht her, besteht die Möglichkeit eine Klage beim zuständigen Gericht einzureichen.
Doch aufgepasst! Den Beseitigungsanspruch wegen Unterabstand darf das kantonale Recht befristen. Die gesetzliche Regelung im Kanton Aargau kennt derzeit keine ausdrückliche Bestimmung über die Befristung der Ansprüche auf Beseitigung von Pflanzen im Unterabstand. Der Nachbar kann also auch erst nach mehreren Jahren zum ersten Mal darauf aufmerksam gemacht werden, dass seine Pflanze zu nahe am eigenen Grundstück gepflanzt wurde und diese Pflanze deshalb zu entfernen ist. Jedoch hat das Obergericht des Kantons Aargau die Praxis dahingehend präzisiert, dass der Beseitigungsanspruch wegen verzögerter Rechtsausübung im Sinne von Rechtsmissbrauch verwirken kann. Für die Beurteilung, wie lange das widerspruchslose Dulden der Verletzung von Abstandsvorschriften andauern muss, bis dass der Beseitigungsanspruch verwirkt, gilt die Frist der ausserordentlichen Ersitzung von 30 Jahren (Art. 662 Abs. 1 ZGB) als Richtlinie (AGVE 1982 S. 31 E. 6b/aa; 1990 S. 20 f. E. 6b). In anderen Kantonen, welche die Frage gesetzlich geregelt haben, gelten Verwirkungsfristen zwischen einem bis zu dreissig Jahren.
Eine schlechte Idee ist es, die Pflanze auf dem Nachbarsgrundstück mittels Selbsthilfe zu beseitigen. Dies kann Schadenersatzansprüche des Pflanzeneigentümers zur Folge haben.
Egal wie ihr Fall gelagert ist: Zunächst empfiehlt es sich stets, mit der Nachbarin/dem Nachbarn das Gespräch zu suchen und Ihr Anliegen verständlich zu machen. Sollten Sie nicht weiter kommen, empfiehlt es sich einen Anwalt aufzusuchen.
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