Pflanzen, deren Äste und Wurzeln sich nicht auf das Grundstück ihres Besitzers begrenzen, sondern auch auf die benachbarte Liegenschaft ragen, sind nicht selten Ursprung nachbarrechtlicher Streitigkeiten. So führten derartige Probleme zu den beiden Entscheiden des Bundesgerichts 5D_105/2016 und 6B_751/2017. Durch das herabfallende Laub, abgebrochene Äste oder hervorbrechende Wurzeln können dem Nachbarn finanzielle Schäden entstehen. Welche Möglichkeiten in solchen Fällen beiden Parteien zustehen, soll dieser Bericht erläutern.
Ausgangslage ist der Artikel 687 Absatz 1 des Zivilgesetzbuches (ZGB). Dieser hält fest, dass der Nachbar, dessen Eigentum durch überragende Äste und eindringende Wurzeln beschädigt wurde, diese kappen und für sich behalten darf, sofern sie auf seine Beschwerde hin nicht innerhalb einer angemessenen Frist beseitigt wurden. Das heisst, dass wenn überragende Äste keinen Schaden verursachen, müssen sie vom Nachbarn geduldet werden.
Eine Schädigung im Sinne von Art. 687 Abs. 1 ZGB liegt dann vor, wenn Äste und Wurzeln eine erhebliche Beeinträchtigung in der Benutzung oder Bewirtschaftung des Grundstückes bewirken. Es gilt ein objektiver Massstab, das heisst, dass auch ein normal empfindlicher Nachbar unter den gegebenen Umständen die Beeinträchtigung als übermässig empfinden würde.
Von einer übermässigen Beeinträchtigung kann beispielsweise gesprochen werden, wenn aufgrund von Nadel-, Laub- oder Blütenfall regelmässige und zeitintensive Reinigungs- oder Gartenräumarbeiten vorgenommen werden müssen. Auch der durch eine Pflanze verursachte Schattenwurf oder die ständig verstopfte Dachrinne können unter Berücksichtigung der konkreten Umstände eine übermässige Beeinträchtigung darstellen.
Nebst der Schädigung setzt Art. 687 ZGB auch voraus, dass sich der geschädigte Nachbar beim Besitzer der Pflanze beschwert und ihm eine angemessene Frist setzt, in der er die Schädigung zu beseitigen hat. Es muss ihm dafür genügend Zeit eingeräumt werden und es soll auf die Vegetationszeit der betroffenen Pflanze geachtet werden.
Ob die Voraussetzungen erfüllt sind, muss immer im konkreten Einzelfall beurteilt werden. Kann zum Schluss gekommen werden, dass ein Schaden vorliegt und wenn der Besitzer der Pflanze die Störung nicht beseitigt hat, obwohl ihm eine angemessene Frist zu deren Beseitigung gesetzt wurde, darf die Pflanze bis an die Grundstücksgrenze zurückgeschnitten werden.
Sind die Voraussetzungen jedoch nicht gegeben und schreitet der Nachbar dennoch zu Tat, kann er sich nicht auf das Kapprecht als Rechtfertigungsgrund berufen, was straf- und zivilrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Er begeht in diesem Fall eine Sachbeschädigung, was nebst strafrechtlichen Folgen auch zu einem Anspruch auf Schadenersatz des Besitzers der Pflanze führen kann.
Was aber wenn die Pflanze gar nicht über die Grundstücksgrenze ragt und trotzdem stört? In diesem Fall stellt sich die Frage, ob die Pflanze des Nachbarn zu nahe an das eigene Grundstück gepflanzt wurde. Dieses Thema werden wir jedoch in einem separaten Beitrag demnächst erörtern.
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